Norwegen diagonal - Dieter Wolf durchquert Norwegen zu Fuss

"Top of Norway" wird belagert

Dieter Wolf, 12. Juni 2015

Mein treues Velo - es hat mich von der Polarkreisstadt Mo i Rana ueber 1500km weit ohne Panne getragen - ist auf dem Weg nach Sueden (wo ich es fuer die letzten 250km nochmals brauche), und die Schneeschuhe fuer meine naechsten Etappen sind gekauft. Der zoegerliche Fruehling hat den Schnee noch zuwenig schmelzen lassen, oberhalb von 1200m praesentiert sich die Hochgebirgslandschaft noch immer in lueckenlosem blendendem Weiss. Keine Frage also, einfach noch eine Woche zu warten, bis sich der Sommerschnee soweit gesetzt hat, dass er zum Gehen traegt. Diese Wartezeit verbringe ich aber keineswegs untaetig, das wuerde meinem Naturell nicht entsprechen. Damit ich meinen Weiterweg nach Sueden am 14. Juni antreten kann, treffe ich ein paar entscheidende Vorbereitungen. Hier in meinem "Basislager", dem altehrwuerdigen Fossheim-Hotel in Lom (Hotel seit 1898, in ueber 300jaehrigen Holzgebaeuden), darf ich nicht nur am Personalcomputer diesen Artikel schreiben, sondern tanke Kraefte und fuelle Vorraete auf.

Galdhoeppigen oder Glittertind?

Dieser Gipfel besteht aus Fels und misst 2469m, der Felsgrund des andern ist 2452m hoch, aber seine Eis- und Schneekappe war bis vor 20 Jahren noch ueber 20m hoch, man stand also hoeher oben als auf dem Galdhoeppigen. 20km und das tiefeingeschnittene Visdalen mit dem Fjellhotel Spiterstulen auf 1100m liegen zwischen den beiden hoechsten Gipfeln Norwegens, ja ganz Nordeuropas. Lange wars also unentschieden, wer die Nr. 1 oder 2 ist. Da braucht es schon die hier sichtbare Klimaerwaermung, die die Eiskappe des Glittertinds immer niedriger werden laesst. Der Steilabbruch in die 600m hohe Nordwand mit weit ueberhangender Waechte ist aber immer noch imposant und erheischt Vorsicht, um im Nebel nicht uber die Kante zu stuerzen. Genau diesen Respekt musste ich bei meiner Besteigung walten lassen, doch der Berg war gnaedig mit mir, die Wolken verzogen sich und die Rundsicht war schlicht traumhaft. Der bisher praechtigste Tag meiner Reise liess mich auch hinueber schauen zum tags zuvor im Nebel bestiegenen Galdhoeppigen. Dort war ich noch zu Fuss unterwegs, teils huefttief im weichen Schnee watend, aber jetzt und hier auf Schneeschuhen ist selbst das 400m hohe Steilcouloir ein reines Vergnuegen.

Vorgeschobenes Lager

Im Hinblick auf meinen Weiterweg suedwaerts, auf dem ich mich durch die an den Uebergaengen doch auch 1700m erreichenden Hochtaeler durch Jotunheimen und die Hardangervidda durchschlaengeln werde, habe ich schon einen Vorstoss unternommen. Von meinem ABC (in der Bergsteigersprache "advancecd base camp") im Fjellhotel Spiterstulen bin ich, auch schon auf Schneeschuhen, 20km weit ins Uladalen hochmarschiert, jetzt erstmals mit dem gesamten Camp-Material im Rucksack. Fast 20kg auf Schultern und Hueften zu tragen, ist gewoehnungsbeduerftig. Nach 5 Stunden fand ich einen geeigneten Lagerplatz. Um dem immer staerker werdenden Westwind zu begegnen, errichtete ich zuerst eine mannshohe Mauer aus Schneebloecken rundum als Windschutz, und in dieser Burg ebnete ich den Schnee aus um mein Zelt darin aufzustellen. Gut so, denn in der Nacht tobte der Sturm vehement. Als er fruehmorgens etwas abflaute und auch die Sicht nach dem Neuschneefall wieder besser wurde, brach ich um 4 Uhr auf zum Rueckweg ins ABC und war puenktlich um 7.30 Uhr am ueppigen Fruehstuecksbuffet. Wenn ich nun am 14. Juni definitiv Spiterstulen suedwaerts verlasse, ist mein Rucksack leicht und meine erste Uebernachtung gesichert.Die Gastfreundschaft des Wirtepaars Bente und Sverre und ihres aufgestellten Teams werde ich aber vermissen, nicht nur wegen der heissen Sauna und warmem Pool, sondern auch wegen Bjoerns exzellenter Kueche - wer wuerde das alles mitten im Hochgebirge erwarten ?!